Kritik der klassischen Herrenmode
Ein Gentleman steht auf, wenn eine Dame den Raum betritt. Ein Gentleman hat eine aufrechte, einnehmende Körperhaltung und einen gewählten Sprachstil. Und ein Gentleman würde niemals mit braunen Schuhen durch die Stadt gehen.
Jahrzehnte der modischen Entwicklung haben uns einen Kleidungskodex gegeben, der manchmal kaum noch hinterfragt wird. Das Konzept der Permanent Fashion oder klassischen Herrenmode scheint manchmal bis ins kleinste Detail festzulegen, was wann wo zu tragen ist. Oft wird dabei, was ursprünglich nur als Stil-Ratgeber gedacht war, zum allzu strengen Korsett. Grundregeln, die größtenteils aus den 50'er und 60'er Jahren stammen, werden von konservativen Modefreaks als Dogma gelesen. Als Kronzeugen werden immer wieder die selben Stilikonen angeführt: Fred Astaire, Gianni Agnelli und natürlich der Duke. Nun, keine Frage, diese Männer sahen zu ihrer Zeit stets aus wie aus dem Ei gepellt. Die Frage ist jedoch: ist, wie es manche Stil-Gurus behaupten, wirklich die modische Entwicklung stehen geblieben?
Ist sie im Zweifelsfall nicht. Spätestens seitdem die italienischen Anzugschnitte Einzug gehalten haben, kann von einem Monopol der klassisch englisch-amerikanischen Schule nicht einmal mehr in der förmlichen Garderobe die Rede sein. Strömungen wie der aktuelle Pure-Look setzen wieder mehr auf Eleganz. Denn eines war die alte englische Herrenmode: sie sollte nicht elegant, sondern konventionell und damit professionell sein. Bei allem Understatement sehen englische Anzüge oft so aus, als hätte der Träger darin geschlafen. Diese Angst vor übertriebener Eleganz teilen die italienischen Labels nicht. Und wenn das Einstecktuch nicht aus Leinen, sondern aus bunt bedruckter Seide ist, oder gar die Manschettenknöpfe farbig blitzen, um so besser.
Problematisch wird die Lage, wenn es in die Freizeitgarderobe geht. Da werden etwa T-Shirts als schlicht eines Gentlemans unwürdig bezeichnet, Jeans sind natürlich sowieso Inbegriff der Verwahrlosung, und farblich ist man auf Braun- und Grüntöne festgelegt. Natürlich braune Schuhe und entsprechender Gürtel. Problematisch nur, wenn es in der Freizeit in die Stadt geht. Denn die alte Grundregel heißt immer noch: No brown in town.
Vielleicht ist es an der Zeit, sich wieder einmal vor Augen zu führen, dass alle diese feinen Kleidungskonventionen in erster Linie ein Ziel hatten: sie waren – und sind - eine Hilfestellung, um eine gewisse konservative Eleganz zu erreichen und zu zeigen, dass man sich in Gesellschaft bewegen kann. Das ist im Berufsleben meist eine gute Sache, auch wenn sich auch dort manche Konventionen ein wenig verschoben haben. Wie man hingegen im Privatleben wirken will, ist eine andere Angelegenheit. Und während der eine wirklich am liebsten auch außerhalb des Büros hochseriös daherkommen will, ist dem anderen eher seine Individualität wichtig.
Zudem sind die Zeiten vorbei, als man entweder die Woche über zur Arbeit oder am Wochenende aufs Land ging. Heutzutage gehen Menschen direkt von der Arbeit zur Party und in der Mittagspause einkaufen. Nicht zuletzt dadurch, aber auch durch die immer lockeren Büro-Dresscodes, verschwimmen die Grenzen zwischen förmlicher und lockerer Garderobe immer mehr. Und damit bietet sich auch die Gelegenheit, wieder modisch ein wenig Farbe zu bekennen.
Und doch: ausgedient hat die klassische Herrenmode noch lange nicht. Denn sie wirkt immer zeitlos elegant und professionell. Und ist dabei nicht von Modeströmungen abhängig. Es gibt nichts, was eleganter wirkt als ein gut geschnittener dreiteiliger Anzug zur gestreiften Krawatte, mit dem passenden Einstecktuch und glänzenden Manschettenknöpfen. Darunter ein weißes Hemd, perfekt. Sie werden innerhalb der klassischen Herrenmode nie modisch danebenliegen.
In Ihrer Freizeit hingegen sind Sie frei, zu tun und lassen, was sie mögen. Und da sind sowohl Jeans wie auch T-Shirts schon lange kein Tabu mehr – vorausgesetzt, sie sind sauber und gepflegt.